Autor: Harald Schäffler

Was ändert sich eigentlich im Kern, wenn wir die gesamte Energieversorgung hin zur Klimaneutralität transformieren? Worin unterscheiden sich die Versorgungssysteme, gerade im Bereich der Wärmeversorgung, wenn wir von Kohle, Öl und Gas auf Sonnen- und Erdwärme umsteigen? Und was folgt daraus für die Planung und Umsetzung von Wärmenetzen? Zu diesen Fragen möchte ich in einer losen Serie von Blogbeiträgen einige persönliche Gedanken vorstellen.

Grundunterscheidung 4 – Punkt vs. Fläche

Fossile Energievorräte sind in der Regel hochgradig verdichtet. Auf kleinsten Raum eines Bohrlochs können – früher noch – unvorstellbare Energiemengen an Erdgas oder Erdöl gewonnen werden, die über Pipelines, Schiffe oder LKWs über weite Strecken bis zur Bordsteinkante des Heizungskellers transportiert werden.

Energiequellen wie Umwelt-, Sonnen-, Erd- oder Wasserwärme hingegen können wir immer nur auf einer Fläche nutzen, häufig sogar nur an einer bestimmten Lokalität, weil eben nur dort der Wind weht, das Gewässer fließt oder das Erdreich ergiebig ist. Schlagworte wie „Verspargelung der Landschaft“ zeugen noch von den entsprechenden politischen Konflikten, wenn wir anfangen, unsere eigenen Flächen vor Ort für die Energiegewinnung zu nutzen statt nur weit entfernte Erdgas- oder Erdölfelder in Russland oder Saudi-Arabien.

Dementsprechend erfordert die Dekarbonisierung von Wärmenetzen, also der Ersatz von fossilen Kesselanlagen durch erneuerbare Wärmequellen, eine grundlegende Umplanung. Denn Wärmenetze konnten bisher – etwas vereinfacht gesagt – „Top-Down“ geplant und dimensioniert werden. Die erforderliche Wärmeleistung und -menge wurde „punktuell“ in einer großen Energiezentrale erzeugt und dann durch ein weitverzweigtes Netz verteilt. Das erforderliche Erdgas konnte entsprechend aus dem Gasnetz bezogen werden, weil das Gasnetz einen quasi unendlich großen „Speicher“ darstellt.

Werden die fossil befeuerten Kessel z.B. durch Solarthermie, Erdwärme oder Flusswasserwärmepumpen substituiert, dann spielen Fragen des Standorts und der verfügbaren Flächen eine zentrale Rolle. Denn die Kollektorflächen, das Feld für die Erdwärmesonden und der Fluss für die Großwärmepumpe sind üblicherweise nicht gerade dort, wo aktuell die Energiezentrale steht. Daher kommt die Wärme künftig an einer ganz anderen Stelle ins Wärmenetz als bisher. Und häufig mit einer deutlich niedrigeren Vorlauftemperatur. 

Das gesamte „Wärmenetzsystem“ aus Erzeugung, Netz, Verbrauch und Betriebsführung muss daher im Zuge der Dekarbonisierung angefasst und umgeplant werden. Dazu brauchen wir bessere Regelungen und Monitoringsysteme, um Erzeugung und Verbrauch effizienter zu steuern. Auch die Verbraucherseite muss modernisiert und die erforderliche Vorlauftemperatur abgesenkt werden. Die Netzplanung wird also deutlich anspruchsvoller und komplexer als bisher.

Einen scheinbar mühelosen Ausweg aus dieser mühevollen Transformation bietet allein der Wasserstoff. Statt eigene Freiflächen für PV- und Solaranlagen vor Ort, nutzen wir die Wüsten Namibias oder Chiles und importieren den dort erzeugten Wasserstoff per Schiff nach Deutschland. Dann kann alles so bleiben wie es ist, und wir können wie gewohnt die fossil geprägten Netzstrukturen weiter nutzen. Für diese „technologieoffene“ Vision der Wärmewende müssen wir allerdings künftige Kosten und Verfügbarkeit von Wasserstoff ausblenden, genauso wie die Preisabhängigkeit und Erpressbarkeit von einer künftigen „HPEC“ (Organisation Wasserstoff exportierenden Länder), die sicherlich von den OPEC-Staaten als Nachfolgeorganisation gebildet wird.

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