Autor: Harald Schäffler

Was ändert sich eigentlich im Kern, wenn wir die gesamte Energieversorgung hin zur Klimaneutralität transformieren? Worin unterscheiden sich die Versorgungssysteme, gerade im Bereich der Wärmeversorgung, wenn wir von Kohle, Öl und Gas auf Sonnen- und Erdwärme umsteigen? Und was folgt daraus für die Planung und Umsetzung von Wärmenetzen? Zu diesen Fragen möchte ich in einer losen Serie von Blogbeiträgen einige persönliche Gedanken vorstellen.

Grundunterscheidung 2: Vorrat vs. Quelle

Im letzten Blogartikel durften wir lernen, dass Kohle im Kern ein „erneuerbarer“ Energieträger ist und Sonnenenergie durch einen irreversiblen und nicht erneuerbaren Fusionsprozess entsteht. Was ist dann im Kern der Unterschied zwischen Erdgas als Brennstoff im Vergleich zur Sonnenwärme? Hier hilft die Unterscheidung zwischen Vorräten und Quellen. Beides sind Energievorkommen, aber deren Nutzung ist fundamental verschieden.

Fossile Energievorräte

Die Erdgaslagerstätten sind ein fossiler Energievorrat, der in vergangenen Zeiten gebildet wurde. Dieser Vorrat kann grundsätzlich nach unseren Bedürfnissen mehr oder weniger schnell abgebaut werden. Die verfügbare Leistung ist dabei allein begrenzt von den technischen Möglichkeiten. Aus Nutzersicht stellt eine Erdgaspipeline damit einen praktisch unendlich großen „Speicher“ dar, den er beliebig nutzen kann. Daher werden Erdgaskessel auch allein auf Basis der erforderlichen Heizleistung ausgelegt und dimensioniert. Die verfügbare Energie ist – unter praktischen Gesichtspunkten – nicht begrenzt. Dies macht fossile Energievorräte in der Anwendung so ungemein vorteilhaft.

Allerdings mindert jede Nutzung heute die Nutzungsmöglichkeiten in der Zukunft. Denn fossile Energievorräte sind – naturgemäß – begrenzt, weil ja in vergangenen Zeiten gebildet. In den letzten Jahrzehnten spielte diese Begrenzung aber praktisch keine Rolle, weil immer neue Lagerstätten gefunden und erschlossen wurden. Die andere Form der Begrenzung, die der Klimaänderung durch die zusätzlichen CO2-Emissionen, spüren wir aktuell hingegen in der ganzen Welt in Form von Hitzewellen, Feuersbrünsten, beispielloser Trockenheit an der einen Stelle und in Form von Starkregen und Überschwemmungen an anderen Stellen.

Demnach ist die Nutzung von fossilen Energievorräten – zumindest in einer, wenn nicht in beiderlei Hinsicht – im Kern eine bisher ungelöste, ethische und politische Verteilungsfrage, und zwar auf zwei Ebenen:

 

  • intragenerational, also zwischen den Menschen der aktuellen Generation und
  • intergenerational, also zwischen der heutigen und den künftigen Generationen.
Sonne und Wolken

Fossile Energievorräte sind konzentrierte Energiespeicher, die vor Millionen von Jahren gebildet wurden und die heute ganz nach Belieben genutzt werden können. Rezente Energiequellen können hingegen immer nur im JETZT genutzt werden, dafür aber für die nächsten Millionen Jahre.

Rezente Energiequellen

Sonnenenergie kann im Gegensatz dazu immer nur im JETZT genutzt werden, also zu einem bestimmten Zeitpunkt. Es ist weder möglich, die Sonnenwärme von „gestern nachzuholen“ noch die von „morgen mal vorab“ zu nutzen. Jede Form von zeitlicher Verschiebung gelingt nur durch eine technische Speicherung und immer nur in die Zukunft. Dazu können wir weder die Leistung der Sonne noch die nutzbare Energie beeinflussen.

Die Nutzung von rezenten Energiequellen wie der Sonne ist demnach keine ethische Verteilungsfrage, denn die Nutzung heute beeinträchtigt nicht die Möglichkeiten der Nutzung in der Zukunft. Das macht die Nutzung – zumindest ethisch und politisch –  so einfach. Doch haben rezente Energiequellen zwei große Nachteile im Vergleich zu den fossilen Energievorräten:

  • Die „Unbestimmtheit“ macht die Nutzung schwer, denn Strom brauchen wir auch nachts, nicht nur am Tag, wenn die Sonne scheint. Und Wärme im Winter, nicht im Sommer, wenn die Sonne besonders kräftig scheint.
  • Der zweite Nachteil ist die Flächenhaftigkeit und die geringe Energiedichte im Vergleich zu den hochkonzentrierten Energievorräten. Wir brauchen immer eine Fläche, um die Energiequelle einzusammeln, zu wandeln und zu konzentrieren.

Für die Wärmewende heißt dies, dass wir bei der Anlagendimensionierung in der Regel Leistung und Energie berücksichtigen müssen sowie Speicher benötigen. Und dass wir Flächen bereitstellen müssen, auf denen wir die Energiequelle ernten. Und diese Flächen sind gewöhnlich nicht gerade dort, wo die bisherige Heizzentrale steht. Das bedeutet, dass mit der Dekarbonisierung der Erzeugung die Wärmenetze in der Regel fundamental umgeplant werden müssen.

Fazit

Fossile Energievorräte sind in der Nutzung ungemein vorteilhaft, aus Nutzersicht (noch) unendlich verfügbar, aber mit ungelösten und aktuell sprichwörtlich „brennenden“ ethischen und politische Verteilungsfragen verbunden.

Rezente Energiequellen hingegen können von unserer Generation und von allen weiteren Generationen gleichermaßen genutzt werden – und sie machen uns unabhängig. Doch benötigen wir dafür Flächen, Speicher und die Bereitschaft, uns an die fluktuierende Verfügbarkeit zumindest etwas anzupassen.

Neben fossilen Vorräten und rezenten Quellen gibt es noch eine dritte Art von Energie­vorkommen: rezente Energievorräte. Hierzu zählt z.B. Biomasse. Wie diese genutzt werden können, darum geht’s im nächsten Blogbeitrag.

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