Die BEW differenziert nicht zwischen neuen Wärmenetzen für Neubaugebiete und neuen Wärmenetzen für Bestandsgebiete. In der Praxis unterscheiden sich aber Aufgaben und Planungsleistungen in wesentlichen Punkten. In diesem Blogbeitrag erläutere ich, worin die Unterschiede im Detail bestehen und warum sich in unserer Arbeit die Unterscheidung zwischen „Neubaunetzen“ und „Ausbaunetzen“ bewährt hat.

Die Förderrichtlinie

Die Bundesförderung Effiziente Wärmenetze (BEW) unterscheidet nur zwischen „Neubaunetzen“ und „Bestandsnetzen“:

    • Neubaunetze sind gemäß der Richtlinie Wärmenetze, die erstmalig errichtet werden und die nicht oder nur in geringem Maße thermisch (durch direkte hydraulische Verbindung oder indirekt über Wärmeübertrager) mit einem bestehenden vorgelagerten Netz verbunden sind [1].
    • Bestandsnetze werden hingegen nicht näher definiert. Im Sinne der Richtlinie sind hierunter bestehende Netze zu verstehen, die in Abgrenzung zu einem „Gebäudenetz“ die Mindestanforderung an ein „Wärmenetz“ (mind. 17 Anschlüsse) erfüllen.

Für den Modul 2-Antrag für Neubaunetze muss entsprechend eine Machbarkeitsstudie erstellt werden, für den Modul 2-Antrag eines Bestandsnetzes hingegen ein Transformationsplan.

In unserer Planungspraxis zeigt sich aber, dass es wesentliche Unterschiede zwischen der Planung von Wärmenetzen für Neubaugebiete und von Wärmenetzen für Bestandsgebiete gibt. Tatsächlich ähneln die Planungsanforderungen für ein neues Wärmenetz im Bestand viel mehr den Anforderungen für einen Transformationsplan als den Anforderungen für eine Machbarkeitsstudie.

Deshalb haben wir nach einer zusätzlichen Bezeichnung gesucht, um Neubaunetze für Neubaugebiete von Neubaunetzen für Bestandsgebiete zu unterscheiden. In Analogie zu einem Bestandsgebäude, wo man z.B. einen ungenutzten Dachboden für ein neues Zimmer „ausbaut“, bezeichnen wir in unserer Projektarbeit neue Wärmenetze im Bestand als „Ausbaunetze“. Im Folgenden erläutern wir die wichtigsten Unterschiede zwischen Neubaunetzen, Ausbaunetzen und Bestandsnetzen, die transformiert werden sollen, also kurz Transformationsnetze.

Projektgebiet

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    • Neubaunetze: Das Projektgebiet ist durch den Bebauungsplan festgelegt und kann hierdurch in der Regel klar abgegrenzt werden.
    • Ausbaunetze: Das Projektgebiet umfasst häufig die Umrisse eines Quartiers oder eines Ortsteils, kann aber in der Regel nicht Gebäudescharf abgegrenzt werden, weil nicht klar ist, welche Gebäude am Ende technisch tatsächlich angeschlossen werden können und welche Eigentümer das auch wollen. Dies ist erst Ergebnis der Planung bzw. Ergebnis einer Befragung.
    • Transformationsnetze: Das Projektgebiet, das aktuell vom Bestandsnetz versorgt wird, kann natürlich klar abgegrenzt werden. Im Rahmen einer Wärmenetztransformation sollen die Wärmenetze aber in der Regel nachverdichtet und ausgebaut werden. Von daher bestehen hier die gleichen Unsicherheiten wie bei einem Ausbaunetz: Welche Gebäude am Ende tatsächlich angeschlossen werden können und welche Eigentümer das wollen, ist Ergebnis der Planung.

Wärmebedarf I – Heizwärmebedarf der Gebäude

    • Neubaunetze: Der Wärmebedarf der Gebäude kann auf Basis der geplanten Bruttogrundflächen und dem geplanten Effizienzhausstandard relativ gut ermittelt werden und ändert sich bis 2045 auch nicht mehr. Wärmebedarfsszenarien erübrigen sich hierdurch.
    • Ausbaunetze / Transformationsnetze: Die Ermittlung und Prognose des Wärmebedarfs für Bestandsgebäude ist die erste wesentliche Herausforderung bei der Planung. Insbesondere, wenn keine Verbrauchsdaten eines Gasversorgers zur Verfügung stehen, müssen die Wärmebedarfe (und Lastprofile) auf Basis von Gebäudetypen, Gebäudealtersklassen und Zensusdaten abgeschätzt und für die Wegmarken 2030, 2035 und 2040 prognostiziert werden. Hierfür gibt es inzwischen KI-basierte Tools bzw. Datendienstleister, die auf Grundlage von öffentlich verfügbaren Gebäude- und Zensusdaten Wärmebedarfe inkl. Sanierungsquoten abschätzen können.

Wärmebedarf II – Anschluss- und Benutzungszwang

  • Neubaunetze: Bei Neubaugebieten werden im Zuge des Grundstücksverkaufs die Bauherren in der Regel verpflichtet, ihre Grundstücke an das Wärmenetz anzubinden und das Baufeld in einem bestimmten Zeitrahmen zu bebauen. Durch diese rechtlichen Verpflichtungen kann der letztlich zu versorgende Wärmebedarf relativ gut kalkuliert sowie Potentiale und Wärmenetze wirtschaftlich dimensioniert werden.
  • Ausbaunetze / Transformationsnetze: Bei Bestandsgebieten ist es hingegen rechtlich sehr schwierig, eine verbindliche Anschlusspflicht für Gebäudeeigentümer zu verfügen. Auch aus politischen und Akzeptanzgründen wird hierauf in der Regel verzichtet. Daher bleibt nur der Vertrieb. Aber selbst wenn erfolgreich Vorverträge abgeschlossen werden können, bleibt der konkrete Anschlusszeitpunkt häufig noch vage, denn Bestandsheizungen werden normalerweise so lange wie technisch und wirtschaftlich sinnvoll genutzt und erst im Modernisierungsfall ausgetauscht. Der zu den Wegmarken zu versorgende Wärmebedarf sowie die hierfür erforderlichen Potentiale und Wärmenetze können daher nur mit Unsicherheiten dimensioniert werden. Die entsprechenden finanziellen Investitionen sind daher mit deutlich höheren Risiken verbunden.

Potentiale

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    • Neubaunetze: Für Neubaugebiete ist die Potentialermittlung wesentlich einfacher als im Bestand. Boden-, Dach- und Fassadenflächen können in der Regel z.B. für Erdwärme oder Umweltwärme genutzt werden, weil die Flächeneigentümer (Kommune, Bauträger) die Nutzung im Rahmen eines Bebauungsplans bzw. eines städtebaulichen Vertrags festlegen können. Gleichzeitig ist der Wärmebedarf aufgrund der höheren Effizienzhausstandards deutlich niedriger als im Bestand, so dass in unseren Projekten die örtlich verfügbaren Potentiale in der Regel immer ausreichen, um ein Neubaugebiet zu 100 % mit erneuerbaren Wärmequellen zu versorgen.
    • Ausbaunetze / Transformationsnetze: In Bestandsgebieten ist die Ermittlung von verfügbaren Potentialflächen deutlich aufwendiger und stellt die zweite wesentliche Herausforderung für die Planung dar. Die Flächen gehören häufig einem Dritten, mit dem zunächst die Nutzungsmöglichkeiten geklärt und später dann entsprechende Nutzungsvereinbarungen abgeschlossen werden müssen. Wenn diese aber an einer Nutzung grundsätzlich kein Interesse haben, weil sie persönlich keine Vorteile haben, oder keine Einschränkungen für mögliche, zukünftige Nutzungen akzeptieren möchten, scheiden die Potentialflächen schnell wieder aus. Am Ende bleiben dann häufig nur noch Flächen übrig, über welche die beauftragende Kommune verfügen kann.

Trassenplanung

    • Neubaunetz: Für Neubaugebiete ist die Trassenplanung geradezu simple. Die erforderlichen Wärmeleitungen können im Zuge der Erschließungsplanung geplant und entsprechend dimensioniert werden, wenn auch in Neubaugebieten der Platz in den Straßen häufig schon recht knapp bemessen ist.
    • Ausbaunetze / Transformationsnetze: Die Trassenplanung in Bestandsgebieten ist im Vergleich hierzu wesentlich anspruchsvoller und die dritte, wesentliche Herausforderung. Denn die Straßenkörper sind in der Regel schon dicht belegt, so dass im Detail in Abstimmung mit den entsprechenden Behörden und Versorgern (Wasser, Abwasser, Strom, Telekommunikation) geklärt werden muss, ob überhaupt und wo eine neue Wärmeleitung verlegt werden kann. Auf Basis der verfügbaren Räumlichkeiten im Straßenkörper müssen dann mögliche Trassenverläufe für die (noch unsicheren) Wärmebedarfe im Zeitablauf identifiziert werden. Dies ist eine komplexe Netzplanungsaufgabe. Deshalb haben wir hierfür einen innovativen Trassenfindungsalgorithmus entwickelt, mit dem wir auf Basis von GIS-basierten Leitungsdaten und Ausbauszenarien einen möglichst optimalen Trassenverlauf ermitteln können.

Planungsrichtung

Aufgrund der Unterschiede im Projektgebiet, in der Belastbarkeit des Wärmebedarfs, bei der Potentialermittlung und in der Trassenplanung unterscheiden sich auch die „Planungsrichtungen“:

      • Neubaunetz: Bei Neubaugebieten ist der Planungsstartpunkt der Wärmebedarf, der wie oben dargestellt, relativ gut abgeschätzt werden kann. Planungsziele sind die erforderlichen Potentiale und das erforderliche Wärmenetz, um diesen Wärmebedarf zu decken.
      • Ausbaunetze / Transformationsnetze: Bei Ausbaunetzen und Transformationsnetzen kann sich die Planungsrichtung hingegen umdrehen: Startpunkte sind hier die verfügbaren Potentiale sowie die technisch bzw. wirtschaftlich möglichen Trassenverläufe. Planungsziel ist hier dann der Wärmebedarf, der mit den verfügbaren Potentialen an den verfügbaren Trassen gedeckt werden kann.

Fazit

Die BEW unterscheidet nicht zwischen neuen Wärmenetzen für Neubaugebiete und neuen Wärmenetzen für Bestandsgebiete. In der Planungspraxis zeigt sich aber, dass sich Aufgaben, Anforderungen und Planungsleistungen in wesentlichen Punkten unterscheiden. Deshalb hat sich in unserer Projektarbeit bewährt, zwischen „Neubaunetzen“ (neue Netze in Neubaugebieten) und „Ausbaunetzen“ (neue Netze in Bestandsgebieten) zu differenzieren.

Für beide Netztypen müssen gemäß BEW Machbarkeitsstudien angefertigt werden. Die Leistungsbeschreibungen der Machbarkeitsstudien unterscheidet sich aber in wesentlichen Punkten. Dabei sind die Leistungen für Ausbaunetze, wie oben dargestellt, in weiten Teilen vergleichbar mit den Leistungen eines Transformationsplans.

Kommunen und Stadtwerke, die entsprechende Machbarkeitsstudien für Ausbaunetze ausschreiben, sollten dies bei der Erstellung ihrer Leistungsbeschreibung berücksichtigen.

 

[1] https://www.bundesanzeiger.de/pub/publication/LqynJ78mbcSrTH7lL83/content/LqynJ78mbcSrTH7lL83/BAnz%20AT%2018.08.2022%20B1.pdf?inline

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