Dass ein mittelständisches Unternehmen seine kompletten Gewerbeflächen mit einer klimaneutralen Energieversorgung ausstatten möchte, ist heute noch immer eine Seltenheit. Genau dies plant aber die Grundstücksgesellschaft des Unternehmens Wilhelm Mayer Nutzfahrzeuge für seine über 40.000 Quadratmeter an Flächen in Neu-Ulm. Eine erste Potentialstudie für das Projekt hat sinnogy bereits erstellt und in unserem Gespräch mit Hauptgesellschafter Jan Mayer erfahren wir nun mehr über die Beweggründe und die Herausforderungen dieses besonderen Projektes.

Jan Mayer, Hauptgesellschafter der Grundstücksgesellschaft der Firma Wilhelm Mayer

Nicht viele Mittelständler beschäftigen sich bisher mit der Frage einer klimaneutralen Energieversorgung. Was brachte Sie auf diese Idee?

Hierzu muss man erst einmal die Geschichte unseres Unternehmens berücksichtigen. Die Wilhelm Mayer Grundstücksgesellschaft GmbH ist aus der Trennung vom gleichnamigen Familienunternehmen Wilhelm Mayer Nutzfahrzeuge entstanden. Das Geschäft ist seitdem vom operativen Betrieb getrennt, auch wenn die Gesellschaft ursprünglich eine rein dienende Funktion besaß. Unser eigentlicher Kernauftrag war es lange Zeit unsere Gebäude und Flächen in Neu-Ulm zu verwalten und in Stand zu halten. Auf diesen Flächen wurden in unserer über 100 Jahre alten Firmengeschichte lange Zeit Landmaschinen zwischengelagert, inzwischen sind viele der Objekte aber an andere Gewerbetreibende vermietet. Mit der Planung eines neuen Bauprojektes im Jahr 2017 rückte dann plötzlich ein komplett neuer Aspekt in den Fokus unserer Arbeit: die zukunftsfähige Entwicklung des Quartiers und eines modernen Energiekonzepts für das ganze Areal.

Wie kam es dazu?

Angesichts des anstehenden Neubaus kamen wir als erstes zu dem Schluss, dass es doch sinnvoll wäre ein Energie-Plus-Haus nach KFW-55 Standard zu errichten. Durch die Erzeugung solarer Energie wäre es für uns möglich nicht nur den eigenen Energiebedarf für das neue Gebäude zu decken, sondern wir könnten diese auch der Schwesterfirma als zukünftigem Mieter zur Verfügung stellen. In dem Zuge kamen wir dann auf das Thema Klimabilanz und fragten uns, wie es denn eigentlich übergreifend im ganzen Quartier mit der Klimabilanz und dem Thema Energieeffizienz aussieht.

Dabei muss man aber natürlich verstehen, dass sich bei einer über 100-jährigen Firmengeschichte ganz automatisch in so einem Areal ein ganz eigener Charakter mit über Jahrzehnte gewachsenen Strukturen bildet. So verfügen unsere Hallen zum Beispiel über eine sehr alte Bausubstanz, zu denen über die Jahre auch noch unterschiedlichste Anbauten hinzugekommen sind. Die Wärmeversorgung wiederum erfolgt klassisch durch Gas- und Ölkessel in den jeweiligen Gebäuden. Uns war schnell klar: es ist höchste Zeit das Thema Energieversorgung in unserem Quartier mit einem einheitlichen Konzept anzugehen. Und in dem Zuge macht es natürlich Sinn sich gleich Gedanken zu einer zukunftssicheren Energieversorgung zu machen, weg von fossilen Energieträgern. Im Nachhinein ist das natürlich eine vollkommen naheliegende Idee.

Wie sind Sie im ersten Schritt dabei vorgegangen?

Als promovierter Physiker hatte ich natürlich einen kleinen Startvorteil, da mich das Thema Energieversorgung schon immer interessiert hat. Ich habe ein stark analytisch geprägtes Denken, darum war für mich klar, dass es zu Beginn erst einmal eine umfassende Datenerfassung braucht – auch wenn das sehr viel Arbeit bedeutet, da in unserem Fall zum Beispiel die Heizkostenabrechnung nie für das gesamte Gebiet, sondern immer nur für einzelne Mieteinheiten erstellt wurde. Aber es ist wichtig konkrete Werte vor Augen zu haben. Für wieviel CO2-Emissionen bin ich eigentlich verantwortlich – diese Zahl sollte meiner Meinung nach auf jeder Heizungsabrechnung stehen. Wir haben diese Auswertung natürlich später in der von schäffler sinnogy durchgeführten Potentialstudie noch einmal systematischer durchgeführt, doch bereits nach unserer ersten Vorab-Datenerfassung wurde deutlich, dass wir mit dem Gesamtareal doch deutlich unter den im Gewerbe üblichen Durchschnittswerten liegen. Im nächsten Schritt haben wir uns dann mögliche Hebel und Potentiale angeschaut, mit denen sich eine möglichst energieeffiziente und emissionsfreie Lösung umsetzen lässt.

Gab es auch Skepsis gegenüber der Idee, eine klimaneutrale Energieversorgung umzusetzen? 

Also im Grundsatz waren wir uns alle einig: eine gemeinschaftliche Wärmeversorgung wäre eine gute Sache. Aber natürlich gab es auch ein paar Vorbehalte, zum Beispiel ob das überhaupt technisch mit Wärmepumpen umsetzbar ist – gerade bei den hohen Vorlauftemperaturen in unseren alten Gebäuden. Die Kostenfrage war und ist auch immer noch ein weiterer wichtiger Aspekt, verbunden mit der Tatsache, dass wir ja eigentlich keine Experten für den Bereich sind. Genau darum haben wir uns aber externe Fachleute mit ins Boot geholt. Gerade die Potentialstudie hat einige Vorbehalte aufgelöst, weil sie einige spannende technische Lösungen und auch interessante Fördermöglichkeiten aufgezeigt hat. Solches Feedback von außen, ohne jeglichen Interessenkonflikt, ist einfach sehr wichtig bei einem solchen Projekt. 

Was war bisher die größte Herausforderung bei dem Projekt?

Dass unser Projektgebiet von einer öffentlichen Straße und einer alten Bahnlinie durchzogen wird, verkompliziert einiges. Denn wenn Strom über eine öffentliche Straße transportiert wird, muss dieser über das öffentliche Netz gehen. Für uns würde das bedeuten: Wir müssen Energieversorger werden und einen eigenen Bilanzkreis erstellen. Dieses Fass möchten wir nicht aufmachen und das stellt dann natürlich eine große Herausforderung für die Planung der Wärme- und Strominfrastruktur dar. Ebenfalls herausfordernd sind die benötigten unterschiedlichen Vorlauftemperaturen, da zukünftig sehr alte und hochmoderne neue Gebäude am gleichen Netz hängen werden. Hier hat die Potentialstudie aber viele spannende Ansätze gefunden und wir haben uns am Ende für eine Art Mittelweg in Form eines warmen Nahwärmenetzes mit gleitender Temperatur bis 45 Grad entschieden.

Wie sieht die Finanzierung aus?

Eine Finanzierung hängt ja immer von der spezifischen Situation und dem Zeitplan eines Projektes ab. Also wieviel Eigenkapital habe ich aktuell, welche Förderungen stehen jetzt gerade zur Verfügung oder wie entwickeln sich die Baukosten. Hier hat die Potentialstudie auch vielversprechende Ansätze aufgezeigt, aber wir müssen nun sehen, wie sich die Änderungen in der Förderlandschaft für uns auswirken. Aktuell sieht es zum Beispiel nicht so aus, als ob die neue Bundesförderung für effiziente Wärmenetze für uns in Frage kommt. Stattdessen könnte aber noch die Bundesförderung für effiziente Gebäude interessant sein. Je nach dem, was sich hier an Möglichkeiten ergibt, werden wir die Finanzierung des Projektes noch einmal neu bewerten müssen.

Es gibt aber auch noch viele andere einfallsreiche Wege, um die Wirtschaftlichkeit eines Projektes zu verbessern. Für unser Neubauprojekt haben wir zum Beispiel eine Art Spin-Off Unternehmen gegründet, dass sich nur um die Energieversorgung des neuen Gebäudes kümmern wird. Ein separates Unternehmen, das die Investitionen in PV, die Wärmepumpe und die Lüftungsanlage tätigt. Mit Hilfe eines optimierten und intelligenten Energiemanagements können wir bei der Stromerzeugung hier einen Preisvorteil erzielen und uns durch Energie-Contracting so querfinanzieren. Hier prüfen wir gerade, ob das auch auf Quartiersebene möglich wäre. Doch wenn wir schon über das Thema Finanzierung sprechen: es gibt einen ganz entscheidenden Punkt, der in dieser Diskussion leider meist zu kurz kommt.

Welcher ist das?

Wir alle müssen helfen die Klimakrise zu bekämpfen und es sollten nicht nur die Preissteigerungen an den Energiemärkten, möglichst lukrative Fördertöpfe oder die Drohung von Strafen sein, die uns Unternehmen zum Handeln motivieren. Stattdessen sollte man es als wichtigen und auch prestigereichen Beitrag zur Zukunft unserer Gesellschaft sehen. Handeln im Sinne des Klimas sollte gesellschaftlich angesehen und nicht rein monetär bewertet werden. Wenn sich jemand einen Porsche kauft, muss der sich ja auch nicht amortisieren. Wir brauchen hier einfach ein Umdenken.

Wie sieht die Zukunft des Projektes aus und welche Tipps würden Sie anderen Mittelständlern geben, die ebenfalls mit dem Gedanken einer klimaneutralen Energieversorgung spielen?

Neben den neuen Entwicklungen bei der Finanzierung ist vor allem das Thema Transformationsplan in den nächsten Monaten für mich von großer Bedeutung. Hier werde ich mich noch mehr mit den Konzepten und Modellen auseinandersetzen. Es ist einfach sehr wichtig, dass wir genau wissen, in welchen Schritten wir unser großes Ziel am Ende erreichen können. Schließlich sind gerade Erdarbeiten und die passende elektrische Infrastruktur sehr teuer und so muss man schon exakt planen, was in welcher Ausbaustufe sich sinnvoll an Maßnahmen umsetzen und miteinander kombinieren lässt. 

Eine der wichtigsten Erkenntnisse, die ich in dem Projekt bisher gewonnen habe, ist wie bedeutsam ein intensiver Austausch mit externen Partnern ist. Wir haben alle zwei bis drei Wochen immer wieder Feedbackgespräche geführt. Gerade wenn es konkreter wird, ergeben sich einfach so viele neue Fragen und auch Wünsche. So haben wir neben schäffler sinnogy auch einen externen Berater für Bauprojekte und den Architekten des Neubaus stark miteinbezogen, um wirklich immer einen belastbaren Zwischenstand zu haben.

Mit dem Wissen von heute würde ich aber auch vor allem eine Sache zu Beginn des Projektes anders machen. Es wäre sinnvoll gewesen, gleich am Anfang das ganze Quartier mit Sensoren auszustatten und ein Jahr lang alle wichtigen Daten aufzuzeichnen, um eine möglichst gute Datengrundlage in puncto Verbrauch und Anlagennutzung erstellen zu können. Dies hätte uns sehr viel Arbeit erspart, da wir viele Daten am Anfang zeitaufwendig zusammensuchen und teilweise interpolieren mussten, damit diese überhaupt aussagekräftig waren. Mittlerweile gibt es aber ja so viele praktische IoT-Lösungen für die Datenerhebung, bei denen man auf relativ simple Weise sich die Daten direkt in die Cloud schicken lassen kann. Jeder, der so ein Projekt angeht, tut sich einen großen Gefallen, wenn er zu Beginn so viele Daten wie möglich auf so einfache Weise wie möglich einholt. Vor uns steht jetzt auf jeden Fall noch sehr viel Arbeit, aber es ist ein gutes Gefühl zu wissen, das wir mit diesem Projekt am Ende einen Beitrag für eine nachhaltigere Zukunft leisten können.

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