Die Transformation der Wärmenetze ist ein wesentlicher Baustein der Wärmewende. Im Gespräch erläutert Julian Michel, technischer Leiter von sinnogy, welche Herausforderungen bei der Erarbeitung von Transformationsplänen gemeistert werden müssen und welche Schnittstellen es zur kommunalen Wärmeplanung gibt.

Julian, warum sind Transformationspläne so wichtig für die Wärmewende?

Eines ist klar: Um die Klimakrise zu meistern, benötigen wir CO2-neutrale Lösungen für die Wärmeversorgung. Der Stromsektor hat ja bereits die Hälfte des Weges geschafft. Der Wärmesektor hingegen steht praktisch noch in den Startlöchern. Und angesichts des neuen Gebäudeenergiegesetzes stellt sich für alle Gebäudeeigentümer früher oder später die Frage, wie sie clever mit erneuerbaren Wärmequellen ihr Gebäude heizen können.

Wärmenetze sind hierfür vor allem in urbanen Regionen eine sehr effektive Lösung. Denn durch ein Wärmenetz können sehr flexibel verschiedene Wärmequellen im Verbund genutzt werden, die sich ergänzen und ausgleichen. Sogenannte „grüne“ bzw. klimaneutrale Fernwärme ist daher aktuell in aller Munde. Und der Bund fördert entsprechende Machbarkeitsstudien mit 50 % und die Investitionen mit bis zu 40 %. Dabei zielt die Förderung aber nicht nur auf die Errichtung von neuen Fernwärmenetzen, sondern auch auf die sog. „Transformation“ bestehender Wärmenetze. Transformation umfasst dabei die Umstellung auf klimaneutrale Wärmequellen, die Netzverdichtung bzw. -Netzerweiterung, sowie die Netzmodernisierung. Schließlich haben wir in Deutschland bereits über 20.000 km Fernwärme – mit Netzen von teils über 500 km Länge. Die Transformation dieser Wärmenetze ist also eine große Herausforderung, aber auch eine große Chance für die Wärmewende.

Welchen Herausforderungen stellt denn eine Transformation dar?

Bei Bestandsnetzen ist die Dekarbonisierung, also der Ersatz von fossilen Kesselanlagen durch erneuerbare Wärmequellen, eine echte Herausforderung. Denn viele Wärmenetze wurden bisher – etwas vereinfacht gesagt – „Top-Down“ geplant und dimensioniert. Das heißt, in einer großen Energiezentrale wurde die Wärme mit einer hohen Vorlauftemperatur von bis zu 130 °C erzeugt und dann durch ein weitverzweigtes Netz verteilt. Das Erdgas konnte dem aktuellen Wärmebedarf entsprechend aus dem Gasnetz bezogen werden, weil das Gasnetz quasi ein unendlich großer „Speicher“ darstellt.

Erneuerbare Wärmequellen hingegen „funktionieren“ völlig anders. Sonnenwärme z.B. weist große tägliche und saisonale Schwankungen auf und muss z.B. auf  Freiflächenanlagen gewonnen und in Wärmespeichern „zwischengelagert“ werden. Freifläche und Speicherfläche sind aber üblicherweise nicht dort, wo aktuell die Energiezentrale steht. Daher kommt die Wärme künftig an einer ganz anderen Stelle ins Wärmenetz als bisher. Und natürlich kann mit hocheffizienten Solarkollektoren gut 90 ° C warmes Wasser erzeugt werden, aber nicht 130 °C. Ähnliches gilt für Großwärmepumpen, die z.B. Erdwärme oder Abwärme nutzen.  

Was heißt das nun in der Praxis?

Viele Wärmeversorger versuchen aktuell, als Einstieg in die Dekarbonisierung einen Erdgaskessel durch einen Biomassekessel zu ersetzen. Das ist im Moment eine naheliegende und vor allem einfache Lösung, weil damit das Netz so bleiben kann wie es ist. Biomasse ist aber keine Lösung für Wärmewende insgesamt. Denn hierfür müssten wir – etwas vereinfacht – rund 7 mal mehr Biomasse verbrennen als bisher. Das ist schlicht nicht möglich, wenn wir unsere Wälder behalten wollen.

Darauf folgt, dass man für die Wärmewende in viel größerem Maße als bisher verbrennungsfreie Wärmequellen nutzen muss, wie z.B. Sonnenwärme, Erdwärme oder Abwärme. Um diese Quellen zu nutzen, muss aber das gesamte „Wärmenetzsystem“ aus Erzeugung, Netz, Verbrauch und Betriebsführung angefasst und transformiert werden. Dazu brauchen wir besserer Regelungen und Monitoringsysteme, um Erzeugung und Verbrauch effizient zu steuern. Auch die Verbraucherseite muss modernisiert und die erforderliche Vorlauftemperatur abgesenkt werden.

Was bedeutet das für die Netzplanung?

Ganz klar: sie wird deutlich anspruchsvoller und komplexer als bisher. Die Transformationspläne, die wir aktuell erstellen, umfassen viele unterschiedliche „Komplexitätsebenen“, die alle miteinander zusammenhängen. Wir brauchen Szenarien, wie sich der Wärmebedarf bis 2045 entwickelt. Dann müssen Standorte und Erzeugungspotentiale von möglichen Wärmequellen ermittelt werden. Dann wird geprüft, wo und in welchem Umfang diese Wärmequellen in das Netz aufgenommen werden können, und wo hierfür das Wärmenetz z.B. verstärkt werden muss. Das alles gilt es für das Bestandsnetz zu machen. Wärmenetze sollen aber in den nächsten Jahrzehnten massiv ausgebaut werden. Dazu machen die Kommunen ja eine Wärmeplanung, um die Vorranggebiete für Wärmenetze zu identifizieren.

Das heißt, man muss alle oben genannten Schritte nicht nur für den Bestand, sondern auch für mögliche Ausbaugebiete durchführen. Für die Netzplanung heißt das, Dekarbonisierung, Modernisierung PLUS Netzausbau in einem Planungsprozess zu integrieren. Ein hochkomplexes Zusammenspiel. Mit Excel-Listen und klassischen Planungswerkzeugen kommen wir hier nicht weiter.

Welche Rolle spielt denn die kommunale Wärmeplanung für die Transformation

Die Wärmeplanung liefert Daten zu den Wärmebedarfen der Quartiere, zu den möglichen Wärmepotentialen und legt Vorranggebiete fest, die an ein Wärmenetz angebunden werden sollen. Damit liefert sie die Datengrundlagen und spannt den Rahmen auf, in dem ein Transformationsplan erarbeitet werden kann. Die Wärmeplanung kann aber nicht beantworten, wo genau ein Wärmenetz in Bestandsgebieten überhaupt Platz hat und wie viel Wärme am Ende geliefert werden kann. Das wird im Transformationsplan ermittelt. Das heißt, man sollte jetzt nicht warten, bis die Wärmeplanung abgeschlossen ist, sondern mit der Transformationsplanung jetzt beginnen, um so weit wie möglich Informationen zur technischen Machbarkeit in die Wärmeplanung einfließen zu lassen und umkehrt. Weiterhin sollte man unbedingt darauf achten, dass die Daten der Wärmeplanung auch für die Transformationsplanung weitergenutzt werden können.

Stichwort Daten: Wie müssen denn Daten eines Wärmeplans aufbereitet werden, damit sie für die Transformationsplanung genutzt werden können?

Auf jeden Fall digital und georeferenziert. Vor kurzem haben wir eine Transformationsstudie für ein sehr großes Wärmenetz durchgeführt. Dabei sollten zig Teilnetze, die aktuell jeweils eigenständig mit einem BHKW versorgt werden, in ein Fernwärmenetz eingebunden werden, das mit Abwärme gespeist wird. Für die Netze lagen nur Excel-Tabellen vor, die z.T.  nicht zusammenpassten, Lücken und Fehler hatten und unterschiedlich bezeichnet waren. Wir haben dann als ersten Schritt alle Daten zu den Gebäuden, zu den Verbräuchen, zu den Netzen und zu den Erzeugern konsolidiert, in unser sinnoGIS-System implementiert und ein digitales Abbild des Wärmenetzsystems erstellt. Das Ergebnis hat den Kunden wirklich begeistert: Wir konnten auf Knopfdruck unterschiedliche Ausbauszenarien diskutieren, Bauabschnitte festlegen, sowie Energiemengen und Kosten abgrenzen. Die GIS-Karten und Daten können jetzt für Ausschreibungen verwendet, Fachplanern zur Verfügung gestellt und am Ende auch für die Öffentlichkeitsarbeit genutzt werden.

Du hast ja schon dargestellt, dass die Transformationsplanung ziemlich komplex ist. Wie löst Du diese Aufgabe?

Wir haben im letzten Jahr mit unserem Team sehr viel Zeit und Energie in die Entwicklung von sinnoHEAT gesteckt. sinnoHEAT ist unsere Simulationsumgebung und umfasst inzwischen rund 15 Programme und Tools, die über digitale Schnittstellen und automatisierte Prozesse verbunden sind. Damit können wir jetzt verschiedene Versorgungsszenarien durchspielen, wie das Zielbild einer treibhausgasneutralen Wärmeversorgung erreicht werden kann. Dazu können wir mögliche Netzausbauvarianten modellieren, die Erzeugungsquoten ermitteln und natürlich die Kosten vergleichen. Ohne sinnoHEAT wäre all das allein zeitlich nicht zu stemmen. Jetzt sind schnelle Iterationszyklen, deutlich robustere Zielszenarien und auch kurzfristige Anpassungen möglich.

Neben der Planung ist aber die Öffentlichkeitsarbeit mindestens genauso wichtig. Denn die aufgeheizte politische Diskussion zum Gebäudeenergiegesetz wird sich sicherlich in den Kommunen weiter fortsetzen, wenn konkret über die Wärmepläne diskutiert und festgelegt wird, welche Quartiere nun an ein Wärmenetz angebunden werden sollen und welche nicht. Deshalb haben wir sinnoHEAT so entwickelt, dass wir die Ergebnisse in verschiedenen Kartenformaten visualisieren können. Und wenn ein Gemeinderat zusätzliche Varianten untersuchen lassen möchte, können wir das vielleicht nicht auf Knopfdruck, aber doch in einem darstellbaren Zeitrahmen leisten. Ich persönlich glaube, dass die transparente und verständliche Kommunikation der Ergebnisse für die Akzeptanz der Wärmewende eminent wichtig werden wird.

Und Wärmeplan und Transformationsplan werden ja nicht in Stein gemeißelt, sondern müssen kontinuierlich weiterentwickelt werden. Deshalb stellen wir Daten und Pläne unseren Kunden im Rahmen eines Open-Source-GIS-Systems kostenfrei zur Verfügung. Das heißt, Wärmeversorger und Kommunen können mit den Ergebnissen weiterarbeiten, ohne von uns oder einem anderen Büro abhängig zu sein.

Wenn jetzt eine Kommune oder ein Versorger ein Transformationsplan starten will, was ist der erste Schritt, um anzufangen?

Tatsächlich erhalten wir aktuell viele Angebotsanfragen. Wenn wir dann im Detail nachfragen, was denn gemacht werden soll, sind viele Grundlagen, das Zielbild und die Versorgungsoptionen noch gar nicht geklärt. Wenn man aber 50 % BEW-Förderung für einen Transformationsplan erhalten möchte, muss man schon bei der Antragstellung skizzieren, wie man das Zielbild einer klimaneutralen Wärmeversorgung erreichen kann. Deshalb empfehlen wir in der Regel, mit einer Transformationsstudie zu starten. Im Rahmen der Studie werden mögliche Vorranggebiete, die z.B. im Umfeld eines Wärmenetzes liegen, skizziert, oder wenn schon verfügbar die Ergebnisse der Wärmeplanung übernommen. Dazu werden mögliche Potentiale ermittelt und mögliche Versorgungsvarianten skizziert. Wenn diese Informationen dann vorliegen, kann man die Kosten abschätzen, Angebote einholen und einen förderfähigen BEW-Förderantrag bei der BAFA einreichen.

Martin Schneider - MEFA
Julian Michel, sinnogy GmbH

Julian Michel ist technischer Leiter des Innovations- und Ingenieurbüros sinnogy am Standort Erfurt. Er spezialisiert sich auf die Digitalisierung von Planungsprozessen und die Simulation von Wärmenetzsystemen.

In unserem Webseminar “Die Sonne ins Netz – So planen Sie die Dekarbonisierung Ihres Wärmenetzes im Rahmen eines BEW-geförderten Transformationsplans“ erläutert Julian Michel anhand eines Praxisbeispiels mit Live-Demonstration ausführlich, wie Transformationsmaßnahmen untersucht und geplant werden können. Dazu werden auch die nötigen Arbeitsschritte bei der Antragstellung eines BEW-geförderten Transformationsplans aufgezeigt.

Die Aufzeichnung des Webseminars steht Ihnen in unserem eCampus, dem kostenfreien Bereich unserer ekademie, zur Verfügung. Jetzt einfach für den eCampus registrieren und das Webseminar kostenlos anschauen!

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