Rüdigheim ist ein kleiner Ort unweit der hessischen Stadt Marburg. Durch ein Nahwärmeprojekt mit Sonnenwärme möchten sich die Bürger im Ort 100 % unabhängig vom Wärmemarkt machen und dadurch auch für ihre Kinder und Enkel vorsorgen. Dafür ziehen sie gemeinsam an einem Strang und haben eine Bürgerenergiegenossenschaft gegründet. sinnogy wurde beauftragt, sich um die Förderung des Projekts zu kümmern. Herr Riehl, Mit-Initiator der Nahwärmeinitiative, berichtet in diesem Interview mit sinnogy von seinen Erfahrungen, Herausforderungen und Lösungsansätzen, die auch für andere Gemeinden nützlich sein können, die eine klimafreundliche und unabhängige Wärmeversorgung aufbauen wollen.

Herr Riehl, erzählen Sie mir etwas zu Rüdigheim und der Gemeinschaft bei Ihnen. Es scheint ein besonderer Ort zu sein.

Rüdigheim gehört zur Stadt Amöneburg im mittelhessischen Landkreis Marburg-Biedenkopf. Hier wohnen 600 Bürger*innen in 180 Haushalten, die wir potenziell an das Nahwärmenetz anschließen können. Rüdigheim ist katholisch geprägt und das Vereinsleben steht bei uns ganz hoch im Kurs. Die Gemeinschaft identifiziert sich mit dem Nahwärmeprojekt. Dieses gibt sogar stärkeren Zusammenhalt. Unsere zwei gemeinsamen Ziele: Wir möchten uns unabhängig vom Wärmemarkt machen und zu einem attraktiveren Wohnort für die jüngere Generation werden.

Wie kamen Sie auf die Idee, sich unabhängig mit Wärme zu versorgen? Wie hat sich das entwickelt?

Es gibt in unserem Umkreis bereits mehrere Bioenergie-Dörfer. In 2017 gab es eine Veranstaltung der Stadt Amöneburg. Dabei haben sich unter anderem einige Bioenergiedörfer vorgestellt. Daher kam auch bei uns die Idee auf, etwas zu unternehmen. In Rüdigheim haben wir das Problem, dass wir über keinen Erdgasanschluss im Ort verfügen. Die meisten heizen mit Heizöl. Viele Öfen sind mittlerweile 30 Jahre alt und älter. Nun müssen wir uns Gedanken machen, wie es weiter gehen soll. Also haben sich 10 Leute gefunden, die zusammen die Nahwärmeinitiative gebildet haben.

Wie ging es weiter? Was waren Ihre nächsten Schritte auf dem Weg zum Ziel?

Wir haben angefangen, an der Projektskizze für eine Machbarkeitsstudie zu arbeiten und die Beantragung auf den Weg zu bringen. Nach einem Jahr kam der Bewilligungsbescheid und wir konnten die Machbarkeitsstudie ausschreiben. Damals haben wir eine Veranstaltung für die Bürger*innen gemacht und einen Fragebogen in Umlauf gegeben, um herauszufinden: Wer hat Lust mitzumachen? Wer würde gern an das Nahwärmenetz angeschlossen werden? Welchen Verbrauch haben die Leute? Und mehr.

Dann kam uns die Pandemie dazwischen und das Projekt war für eine Zeit lang stillgelegt. Später haben wir uns der Sache wieder angenommen. Zunächst haben wir uns für eine Technologie für das Nahwärmenetz entschieden:  Eine Solarthermie-Lösung mit Großwärmespeicher. In einer Konzeptvorstellung haben wir den Bürger*innen unseren Entscheidungsweg transparent gemacht. Daraufhin haben wir uns auf die Suche nach Partnern begeben, die Expertise in Großwärmespeichern haben und stellten den Kontakt zu einem Ravensburger Unternehmen her. Seitdem arbeiten wir zusammen und streben eine Solar 100 Lösung an.

Versammlung Buerger

Wie ist das Feedback der Bürger? Hinterfragen sie, ob eine rein solarthermische Versorgung funktionieren kann?

Tatsächlich fragen die Leute kaum danach, ob es funktionieren kann. Sie verlassen sich auf das Projekt. Es kommen eher vermehrt die Fragen: Was genau wollt ihr machen? In welcher Größenordnung? Was habe ich für Kosten dabei?

Es fühlt sich bis heute alles richtig an. Vor allem jetzt, wo man sieht, wo die Energiepreise hingehen. Man hängt noch vom Markt ab und muss die Energiepreise hinnehmen. Die Solar 100 Lösung ermöglicht es uns, vollständig unabhängig von den Energiepreisen zu werden. Und das kommt sehr gut bei der Gemeinschaft im Ort an.

Wie wollen Sie die Anlagen finanzieren? Rüdigheim ist ein kleiner Ort, wie stemmen Sie die Investitionskosten?

Die Kosten belaufen sich in unserem Fall auf rund 12 Millionen Euro. Mit 40 % BEW-Förderung und 65 % Förderung für die Solarthermieanlage kommen wir auf einen Grundbeitrag von 360 Euro und einen Arbeitspreis von 16,7 Cent brutto. Das haben wir durch die Wirtschaftlichkeitsberechnung, die das Ravensburger Unternehmen für uns gemacht hat, herausgefunden. Wir müssen die Anlage komplett finanzieren und übrig bleibt eine Investition von 6,5 Millionen Euro. Das ist immer noch eine Menge Geld, aber gerade die ältere Generation ist bereit, es abzubezahlen, damit die Kinder etwas davon haben. Wir haben die Investition auf 25 Jahre ausgelegt und wenn alles abgezahlt ist, wird’s viel günstiger. Wie gesagt, die Motivation ist groß. Auf der Kippe könnte das Projekt nur stehen, wenn die Zinsen steigen – sich z.B. verdoppeln.

Welche weiteren Vorteile sehen Sie in einem Nahwärmenetz? Welche Argumente gibt es noch?

Ein Hauptargument ist die zukünftige Unabhängigkeit vom Brennstoffmarkt und dementsprechend günstige Preise für unsere Kinder. Im Moment steigen die Gaspreise so rasant an, dass es sich mit dem Arbeitspreis von 16,7 Cent vom Nahwärmenetz die Waage hält. Vor einem Jahr wäre es noch anders gewesen. Die Bürger*innen wären schwierig zu überzeugen gewesen, einen derartigen Preis für die Energieversorgung zu zahlen. Heute ist es im Vergleich dann doch eine bessere Investition für die Zukunft.

Die Gemeinschaft ist motiviert auf Nahwärme umzusteigen. Der Heizölkessel kommt raus und es wird alles über die Genossenschaft gestellt – auch das ist ein gutes Argument für die Bürger.

Rückblickend, was würden Sie sagen, waren die größten Herausforderungen für Sie? Was war das Schwierigste?

Die Vorbereitungen der Veranstaltungen, die Konzeptvorstellung und die Gründung der Genossenschaft haben viel Zeit und Aufwand gekostet. Außerdem haben wir uns viel im Kreis gedreht, denn die Nahwärmeinitiative hatte keine rechtliche Grundlage und wir konnten keine Aufträge erteilen. In dem Fall kriegt man auch keine Wirtschaftlichkeitsberechnung. Im Endeffekt haben 5 Mitglieder privatrechtlich die Partnerschaft mit dem Ravensburger Unternehmen unterschrieben. Ich bin sehr froh, dass es auf diesem Wege funktioniert hat. An dem Gründungsabend der Genossenschaft sind direkt 73 Mitglieder beigetreten.

Wenn alles ideal läuft, wie schaut der weitere Weg aus? Und wann soll das Projekt abgeschlossen sein?

Wenn alles ideal läuft, haben wir in vier bis sechs Wochen 100 Mitglieder für die Genossenschaft gewonnen. Das ist für uns die Voraussetzung für den Start.

Ein vages Thema ist bis jetzt die Finanzierung, die als nächstes angegangen wird. Aktuell haben wir noch keine Kreditverträge abgeschlossen und sind noch in der Planungsphase. Es wird auch aktuell geklärt, ob wir auf unseren gewünschten Flächen bauen dürfen. Im Falle der Ablehnung, müssten wir nach alternativen Flächen suchen. Der Wärmespeicher ist 15 – 18 Meter hoch und hat einen Durchmesser von 35 Metern, man sieht ihn also vom Weiten. Dafür muss es eine allgemeine Akzeptanz geben. Währenddessen treibt das Ravensburger Unternehmen die Projektskizze voran und sinnogy kümmert sich um die Förderung für die Planung. Abgeschlossen soll das Projekt Ende 2024 werden. Es ist sportlich, aber es ist ein Ziel, auf das wir gerne hinarbeiten.

Mit Ihrer Erfahrung, welche Tipps haben Sie für andere Gemeinden?

Erstens, man muss sich mit der Sache länger beschäftigen. Wir hatten zwei Vorteile auf unserer Seite: Wir hatten die Zeit und mehrere Vorbilder aus der Umgebung. Wir haben die Bioenergiedörfer in der Region besucht und uns diese angeschaut. Dabei konnten wir viele Fragen stellen: Wie habt ihr das gemacht? Was hat es gekostet? Welche Förderung habt ihr beantragt und welche tatsächlich bewilligt bekommen? Die Gemeinden sind sehr stolz darauf, was sie geschafft haben und geben gerne die Informationen weiter. Deshalb ist es ratsam, in persönlichen Austausch mit Experten zu gehen und mit Menschen in Kontakt zu treten, die die Informationen haben, die man sucht. Letztendlich bekommt man dadurch mehr und besseres Wissen, als wenn man nur im Internet darüber liest. Außerdem braucht man viel Durchhaltevermögen und muss angstfrei an die Sache rangehen.

Wie zufrieden sind Sie jetzt mit dem Projekt? Ist es in Ihren Augen gut gelaufen?

Ich bin froh, dass wir einige Meilensteine erreicht haben, die uns viel mehr Freiraum für die Umsetzung des Projekts verschaffen. Wir haben endlich einen rechtlichen Rahmen mit der Genossenschaft und dürfen Angebote einholen, Verträge unterzeichnen und sind somit rechtlich sicher. Wir haben eine Konzeptvorstellung hinbekommen und viele Haushalte zum Mitmachen gewonnen. Und wir haben mittlerweile Leute an der Seite, die bereit sind viel Arbeit reinzustecken und sogar in den Vorstand zu gehen. Es ist alles viel Arbeit, aber wir sind motiviert und es ist ein lohnendes Ziel.

Hat das Vorhaben Nahwärmenetz in Ihren Augen eine Auswirkung auf die Gemeinschaft gehabt?

Das ist tatsächlich so, dass der Ort dadurch stärker zusammengewachsen ist. Wir ziehen eben alle an einem Strang. Bei der Konzeptvorstellung waren ganze 120 Leute anwesend – so viele wie nie. Das Interesse ist groß und die Leute stellen Fragen und möchten mitmachen. Das ist sehr erfreulich. Es hat zwar alles viel Zeit gekostet, aber inzwischen sind wir weit gekommen und freuen uns auf den weiteren Weg.

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