Die Gemeinde Waldburg in Baden-Württemberg plant ein komplettes Neubaugebiet ausschließlich mit solarer Wärme zu versorgen. Welche Motivation dahintersteckt, welche Herausforderungen die Gemeinde erwartet und wie man so ein Projekt als Bürgermeister angeht, verrät uns Michael Röger im Interview.
Michael Röger, Bürgermeister der
Gemeinde Waldburg
Herr Röger, seit 1994 sind Sie bereits Bürgermeister der Gemeinde Waldburg – wieviel Freude bereitet Ihnen diese Arbeit?
Sehr viel. Mir war nach meinem Studium zum Verwaltungswirt und der Verwaltungswissenschaften klar, dass ich unbedingt in einer kleineren Gemeinde arbeiten möchte – und diese Entscheidung hat sich als komplett richtig herausgestellt. Ein zentraler Faktor ist dabei die Tatsache, dass ich hier die Möglichkeit habe, aktiv den Transformationsprozess unserer Gemeinde begleiten zu können. Eine sehr sinnstiftende Arbeit, bei der es vor allem viel Spaß macht mit so vielen engagierten Menschen zusammenzuarbeiten – von den Mitarbeiter*innen im Rathaus, über den Gemeinderat bis hin zu vielen sehr motivierten Bürger*innen.
Mit welchen großen Herausforderungen sehen Sie sich als Gemeinde konfrontiert?
Generell haben wir sehr gute Rahmenbedingungen, da es uns hier in der Bodenseeregion wirtschaftlich sehr gut geht. Unsere Gemeinde mit ihren knapp 3200 Einwohnern liegt im Landkreis Ravensburg und die ganze Region ist geprägt von einem starken Zuzug und einem hohen Siedlungsdruck. Das ist eine Riesenchance, aber gleichzeitig auch eine große Herausforderung, gerade in Bezug auf die nötigen Anpassungsprozesse wie den Wohnungsbau, den Arbeitsmarkt oder generell die Infrastruktur der Gemeinden. Mit einer wachsenden Einwohnerzahl wächst dabei auch der Bedarf der Bürger*innen. Dies ist dann auch der Grund, warum die Gemeinde Waldburg schon immer regelmäßig neue Baugebiete ausgewiesen hat, um so dem starken Siedlungsdruck gerecht zu werden.
Was ist das Besondere an Ihrem neuesten Baugebiet?
Unser neues Baugebiet umfasst ca. 4,5 Hektar und liegt direkt im Herzen von Waldburg. Wir versuchen dabei über die Bauleitplanung verschiedene Wohnformen abzubilden, von kleinsten Kettenhausflächen bis hin zu Geschoßwohnungsbau. Ein großer Teil des Baugebietes wurde der Gemeinde gestiftet, weswegen wir noch einmal eine extra große Verantwortung für eine zukunftsfähige Entwicklung des Areals haben. Deswegen haben wir auch frühzeitig mit der Planung begonnen – obwohl für das Gebiet noch ein Pachtvertrag bis zum Jahr 2026 besteht.
Was hat dazu geführt, dass Sie sich für eine klimaneutrale Energieversorgung entschieden haben?
Das Thema klimaneutrale Energieversorgung begleitet uns schon seit über 10 Jahren. Aber lange Zeit war uns einfach nicht klar, wie wir diese umsetzen können. Der Einfluss über die Bauleitplanung und das Baugesetzbuch war sehr beschränkt. Doch uns war klar, dass wir als Gemeinde eine Verantwortung haben und den Dingen nicht einfach komplett freien Lauf lassen können. Wir sehen mit einem Blick auf den Flächennutzungsplan, dass die Anzahl möglicher Bauplätze in Zukunft deutlich begrenzt sein wird und es bei der Nutzung dieser Flächen angesichts des Klimawandels ein Umdenken geben muss. Als unsere Nachbargemeinde Schlier sich schließlich für ein kaltes Nahwärmenetz entschieden hat, haben wir die Gelegenheit ergriffen und uns bei einer Infoveranstaltung mit schäffler sinnogy ausführlich über das Thema unterhalten. Uns ging es dabei nicht nur um das Neubaugebiet, unser Plan ist auch die alte Heizungsanlage unseres Schulcampus mit einer Mehrzweckhalle zu modernisieren und dies mit dem Energiekonzept des Neubaugebietes zu verbinden.
Wie sind Sie dabei konkret vorgegangen?
Als erstes hat schäffler sinnogy für uns eine Analyse möglicher Energiekonzepte für die kommunalen Bestandsgebäude erstellt – hier gab es schnell erstes positives Feedback. Für unser Neubaugebiet dachten wir eigentlich daran, wie unsere Nachbarn in Schlier auf Geothermie zu setzen. Doch dann hat sich gezeigt, dass unser Baugebiet in einem Wasserschutzgebiet liegt und Geothermie deswegen nicht in Frage kommt. So richtet sich der Fokus auf eine Versorgungslösung, bei der die gesamte Wärme ausschließlich mit solarthermischen Anlagen erzeugt wird. Die ersten Zwischenergebnisse der Prüfung sind hier sehr vielversprechend – auch was die Anbindung des Schulcampus an die Wärme- und Stromversorgung des Neubaugebietes angeht.
Wie war die Zusammenarbeit zwischen Rathaus und Gemeinderat?
Uns war allen klar: wir wollen auf jeden Fall ein CO2-neutrales Baugebiet. Natürlich war es wichtig, Aufklärungsarbeit zu leisten, jede interne Nachfrage zu beantworten und die nötigen Nachweise einzuholen. Aber wir haben von Anfang an alle an einem Strang gezogen. Das beste Beispiel ist der große Solarspeicher, den wir für unser Konzept benötigen. Mit 34 Meter Durchmesser und knapp 13 Meter Höhe wird er deutlich sichtbar sein in der Gemeinde – trotzdem gab es keine nennenswerten Gegenstimmen. Wir alle möchten auf eine klimaschonende Energieversorgung setzen und sind sehr glücklich mit dem Weg, den wir jetzt eingeschlagen haben.
Was würden Sie anderen Bürgermeister*innen raten, die ebenfalls überlegen, ein solches Projekt umzusetzen?
Als erstes muss die Fläche beurteilt werden, auf der das neue Baugebiet realisiert werden soll – speziell die Geologie. Hier sind vor allem gute Berater*innen wichtig, die viel Erfahrung haben und auch direkt Vorschläge unterbreiten können, welche Energiekonzepte unter den jeweiligen Umständen am vielversprechendsten sind. Anhand dieses Arbeitspapiers kann man dann im Gemeinderat die verschiedenen Möglichkeiten diskutieren, um sich schließlich für eine Lösung zu entscheiden, die sowohl umsetzbar als auch wirtschaftlich ist. Dabei sollte man aber in Zeiten des Klimawandels nicht den Fehler begehen, alles nur auf die Wirtschaftlichkeit zu reduzieren. Vieles, was die scheinbare Wirtschaftlichkeit von Gas oder Öl ausmacht, beinhaltet nicht die folgenden Umweltkosten – und dann sieht die Gleichung wieder ganz anders aus. Alte Technologien verursachen langfristig Kosten, die oft übersehen werden. Auch der CO2-Preis wird weiter steigen und muss in der Rechnung berücksichtigt werden. Man sollte bei so einer Entscheidung nicht nach einer Minimallösung schauen, sondern lieber maximal weit springen. Denn die Gebäude werden ja die nächsten 30 bis 40 Jahre dort stehen. Gerade angesichts der vielen Förderchancen bieten sich hier große Chancen und mit den richtigen Partnern wird man diese auch nutzen können.
Wie sehen die nächsten Schritte bei Ihnen aus?
Als nächstes werden wir den Bebauungsplanentwurf in die Offenlage geben und die Stellungnahmen einholen. Parallel dazu wird die Machbarkeitsstudie vorangetrieben und im Herbst werden wir dann die Stellungnahmen bewerten – mit dem Ziel ein Feststellungs- und Satzungsbeschluss hinzubekommen. Auf anderer Seite haben wir das Ziel, die Heizungsanlage in unserem Schulcampus so schnell wie möglich zu modernisieren, immer natürlich in dem Wissen, dass sich das Energiekonzept mit dem des Neubaugebietes ergänzen muss. Als Mitglied des Zertifizierungsverfahrens European Energy Awards haben wir aber den Anspruch an uns selbst, solche Verbesserungen auch möglichst schnell umzusetzen.
Und wie ist das Feedback in der Bevölkerung zu dem Projekt?
Aktuell können wir leider keine Bürgerversammlungen durchführen. Aber die Stimmen, die wir hören, sind sehr positiv. Man merkt ja auch politisch, wie die Meinung in der Bevölkerung immer stärker in diese Richtung geht. Mit dem Klimawandel stehen wir alle vor einem riesigen Problem und für die Lösung kann jeder einen Beitrag leisten. Und genau das möchten wir hier in Waldburg tun.