Angesichts der gesetzlichen Vorgabe zur kommunalen Wärmeplanung gewinnt das Thema Abwärme für viele Kommunen eine neue Bedeutung. Doch wie können verwertbare Abwärmepotenziale in der heimischen Industrie oder im kommunalen Abwasser entdeckt und Unternehmen von einer Kooperation überzeugt werden? Und wie können Kommunen später die Umsetzung begleiten und welche Partner dafür wie und wann mit ins Boot holen? Boris Bartenstein, Projektmanager Abwärme für Wärmenetze der KEA Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg (KEA-BW), steht uns hierzu Rede und Antwort. Er hat einige wertvolle Tipps für Kommunen in ganz Deutschland parat.

Boris Bartenstein, Projektmanager Abwärme für Wärmenetze der KEA Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg (KEA-BW)

Herr Bartenstein, warum ist die Suche nach lokalen Abwärmepotenzialen aktuell so wichtig und wie unterstützt die KEA-BW Kommunen dabei?

Durch das Klimaschutzgesetz Baden-Württembergs, kurz KlimaG (2023), sind Kommunen ab 20.000 Einwohnerinnen und Einwohnern verpflichtet, eine kommunale Wärmeplanung zu erstellen. In diesem Rahmen muss geprüft werden, wie hoch der Wärmebedarf der Kommune ist und wie er gedeckt werden kann. Da bieten sich die erneuerbaren Wärmequellen und die Abwärme an. Denn schließlich hat fast jede Kommune Gewerbe und Industrie vor Ort. Kläranlagen von passender Größe finden sich zudem in nahezu allen Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. So stellt sich als nächstes die Frage, wie sich diese Potenziale nicht nur finden und richtig bewerten lassen, sondern auch, wie sich diese dann möglichst sinnvoll erschließen lassen. Als Projektmanager Abwärme für Wärmenetze stehe ich im Kompetenzzentrum Wärmewende der KEA-BW (zur Homepage der KEA-BW) hierzu den Kommunen als Ansprechpartner zur Verfügung. Das beginnt mit einer Initialberatung. Weiter bieten wir Praxisvorlagen und Förderberatung bis hin zu von uns ausgearbeiteten Muster-Vertragsvorlagen für die Auskopplung der Abwärme an.

Dann beginnen wir doch einmal ganz am Anfang. Wie erfahre ich als Kommune denn von geeigneten Abwärmepotenzialen in meinem Ort?

Im Idealfall habe ich als Kommune vor Ort ansässige Unternehmen bereits angeschrieben und durch eine systematische Abfrage einen Überblick über die einzelnen Abwärmepotenziale der Betriebe erhalten. Das kann im Rahmen des kommunalen Wärmeplans oder auch eines Klimaschutz- oder Quartierskonzepts geschehen sein. Bereits im Vorfeld kann die Kommune sich aber schon eine erste Einschätzung darüber verschaffen, welche Branchen denn theoretisch überhaupt Abwärmepotenziale besitzen. Dabei kann etwa die lokale Wirtschaftsförderung helfen. Ein Beispiel sind Industrien, die per se thermisch orientiert sind. Reichlich Abwärme findet sich etwa in der Papierindustrie oder in vielen chemischen Unternehmen. Auch Molkereien, Wäschereien oder Großbäckereien bieten oft Potenziale. An dieser Stelle möchte ich auch die Potenziale aus dem kommunalen Abwasser nennen, sei es aus dem Kanalnetz, oder aus dem Kläranlagen-Auslauf. Das Abwärmekonzept des Landes Baden-Württemberg bietet einen guten Überblick darüber, in welchen Branchen die vielversprechendsten Abwärmepotenziale zu finden sind. Die Beispiele lassen sich mit der heimischen Industrie abgleichen (zum Abwärmekonzept Baden-Württemberg).

Die konkrete Einschätzung der Abwärmepotenziale muss letztlich aber das jeweilige Unternehmen erarbeiten. Das kann zum Beispiel ein erfahrener Dienstleister im Rahmen des betrieblichen Energiemanagements erstellen. Als ersten Schritt empfehlen wir baden-württembergischen Unternehmen in Baden-Württemberg den kostenlosen KEFF-Check mit der Umwelttechnik BW GmbH (UTBW) des Landes (zum KEFF-Check). Dieser fragt unter anderem ab, welche Temperatur die Abwärme erreicht und welchen Schwankungen sie unterliegt. Das ist wichtig, da die Wärmeversorgung über das Wärmenetz später ja täglich 24 Stunden lang gewährleistet sein muss.

Gibt es hier Erfahrungswerte, welche Voraussetzungen für eine sinnvolle Abwärmenutzung besonders wichtig sind?

Absolute Premiumwerte wären mehrere Megawatt Leistung mit 85 Grad bei einer Verfügbarkeit von 8.000 Stunden, und das mitten in der Stadt. Das sage ich aus der Perspektive eines Wärmenetzbetreibers. Aber so ist es in der Praxis selten. Prinzipiell lässt sich sagen: Die Abwärme ist umso wertvoller, je höher die Temperatur ist, je länger verfügbar sie ist, je höher die verfügbare Leistung ist und je näher am Wärmenetz sie ist, in das sie später eingespeist werden soll. Niedrige Temperaturen sind dennoch kein Ausschlusskriterium. Ein weiteres Beispiel ist die Wärme des Abwassers von Kläranlagen. Eine Untersuchung aller Kläranlagen-Standorte Baden-Württembergs hat gezeigt, dass das Abwärmepotenzial einer Kläranlage selbst in bis zu zwei Kilometern Entfernung für ein Wärmenetz nutzbar gemacht werden kann (zur Untersuchung).

Wie kann ich Unternehmen davon überzeugen, beim Thema Abwärme einen gemeinsamen Weg mit der Kommune einzuschlagen?

Viele Unternehmen sind lokal verankert und haben ein großes Interesse an einer konstruktiven Zusammenarbeit mit der Kommune. Umgekehrt ist es für die Kommune von Vorteil, wenn sich Unternehmen durch solch ein Projekt noch stärker an den Ort binden. Das Spannende hier ist, dass beide Seiten sich gegenseitig helfen. Wenn wir das Ziel erreichen wollen, im Jahr 2040 klimaneutral zu sein, können wir es uns nicht länger leisten, solche Potenziale ungenutzt zu lassen. Ist die Abwärme besonders hochwertig, ist ihre Nutzung zusätzlich lukrativ. Gerade für die Verankerung der Wirtschaft vor Ort und die regionale Wertschöpfung ist ihre Nutzung ein starkes Signal. Ich empfehle Kommunen, diesen positiven Effekt auf das Image der Unternehmen vor Ort hervorzuheben.

Eine erste Einschätzung des Abwärmepotenzials war nun positiv und beide Seiten möchten gemeinsam weitermachen – wie sieht nun der nächste Schritt aus? Welche Aufgabe fällt mir dabei als Kommune zu?

Im nächsten Schritt benötigen wir die Expertise von jemandem, der das Abwärmepotenzial genauer untersucht und quantifiziert. Die Person muss feststellen, ob die Nutzung möglich ist und wenn ja, wie es funktionieren kann, in welcher Menge und mit welcher Verfügbarkeit. Dies ist eine Ingenieursleistung, die das jeweilige Unternehmen beauftragen muss. Nehmen wir das Beispiel einer Härterei in Baden-Württemberg. Die Firma muss untersuchen, wie sie möglichst ökonomisch eine Transportleitung zum Bestandswärmenetz legen kann. Das zu veranlassen kann Aufgabe des Unternehmens sein oder des Wärmenetzbetreibers. Existiert übrigens noch kein Wärmenetz und die Abwärmequelle erweist sich als nutzbar, sollte geprüft werden, ob ein Wärmenetz aufgebaut werden kann. Das kann etwa in Form eines Quartierskonzeptes geschehen.

Zu bedenken ist, dass ein kleines Unternehmen, wie zum Beispiel eine Wäscherei, welche keinen Fachbezug hat, die Arbeit eines Ingenieurbüros meist nicht kompetent begleiten kann. Darum ist es wichtig, dass die Kommune das Unternehmen nicht allein lässt. Wenn es einen kompetenten lokalen Betreiber eines Wärmenetzes gibt – ein Stadtwerk oder eine Bürgergenossenschaft – dann sollte die Kommune ihn mit an den Tisch bringen. Die Kommune hat im weiteren Verlauf vor allem eine koordinierende Funktion. Soll ein Konzept dagegen ganz neu entstehen und innerhalb der Kommune keine Kompetenzen zu dem Thema vorhanden sein, sollten die Verantwortlichen externe Fachleute mit an Bord holen. Hier kommt die KEA-BW ins Spiel: Wir unterstützen Kommunen bei Ihren Vorhaben.

Wie sieht es dann mit der konkreten Umsetzung, sowie rechtlichen Fragen und Fördermöglichkeiten aus?

Sobald es konkreter wird, sollten der Lieferant der Abwärme und der Wärmenetzbetreiber die Bereitstellung der Abwärme in ein Vertragswerk gießen. Das schafft schlussendlich den Rahmen für die Auskoppelung der Abwärme. Die KEA-BW stellt dafür passende Musterverträge zur Verfügung (Link Musterverträge). Sind der rechtliche und der technische Rahmen gesetzt, kann das Planungsbüro im nächsten Schritt die Förderung beantragen. Hierbei ist zu berücksichtigen, wie weit die Planung des eigentlichen Wärmenetzes schon vorangeschritten ist und welche Parteien bereits mit an Bord sind. Die Abwärmenutzung ist ja meist nur ein Baustein der klassischen Wärmenetzplanung. Im Schnitt kann man bei der Bundesförderung effiziente Wärmenetze (BEW) mit etwa 40 Prozent Förderung rechnen, in Einzelfällen kann es auch etwas mehr sein. Nach der Zusage für die Förderung kann das Unternehmen dann die Installation der Wärmetauscher in Auftrag geben.

Gibt es spannende Vorzeigeprojekte?

Ja, die gibt es. Ein großes Vorzeigeprojekt ist das Beispiel Karlsruhe: Die Stadtwerke Karlsruhe speisen große Mengen Abwärme der Mineralölfabrik MIRO und der Papierfabrik Stora Enso in ihr Netz ein. Weitere Beispiele sind die Gemeinde Ilsfeld, die Abwasserwärme aus dem Auslauf der Kläranlage erschlossen hat. In Freiburg wiederum koppelt die Schwarzwaldmilch erfolgreich die Abwärme aus ihrem Kühlprozess für das Wärmenetz in Freiburg aus. Daneben gibt es noch viele kleinere Beispiele von Großbäckereien, Schinkenräuchereien oder Wäschereien, deren Abwärmepotenziale erfolgreich genutzt werden.

Welche drei Tipps möchten Sie Kommunen zum Schluss noch mit auf den Weg geben?

Erstens: Viele Kommunen haben das Thema nicht auf dem Schirm. Sie haben vor Jahren einschlägige Untersuchungen in Auftrag gegeben – damals oft mit dem Ergebnis, dass es wirtschaftlich uninteressant sei. Heute kann es sich lohnen, diese Ergebnisse noch einmal hervorzuholen und unter heutigen Rahmenbedingungen nochmal zu prüfen. Denn inzwischen hat sich die technische Machbarkeit deutlich verändert, gerade was etwa die Wärmepumpentechnik angeht. Gleichzeitig sind auch die Rohstoff- und Energiepreise gestiegen. Das kann die Ergebnisse der Studien in anderem Licht stehen lassen.

Zweitens: Kommunen sollten solch ein Projekt vor allem als große Chance betrachten. Dass eine Gemeinde einen Vertrag mit einem Industriepartner schließt, ist vielleicht etwas ungewöhnlich und dadurch auch herausfordernd. Doch es gibt der Kommune die Möglichkeit, Vorreiter zu sein und die Verbindung zwischen dem Gewerbe und dem Ort nachhaltig und dauerhaft zu stärken. 

Und drittens: Abwärme gibt es wirklich überall. Es lohnt sich einfach, ins Gespräch mit den lokalen Unternehmen zu gehen. Nehmen wir das Beispiel der Schott AG, einem Hersteller für pharmazeutische Verpackungen aus Glas. Ursprünglich wollte die Firma von der Kommune Wasser für ihren Kühlprozess anfragen. Erst als das nicht klappte und man weiter im Gespräch blieb, kam das Thema Abwärme auf. Ich bin übrigens immer wieder erstaunt, wo überall sich Abwärmepotenziale auftun. Oft denkt man, „die Gemeinde ist ja sehr klein, da gibt es bestimmt nichts“. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich dann, dass eine Firma oder gar ein Weltmarktführer gleich nebenan Abwärme ohne Ende produziert. Ich kann nur sagen: Suchen lohnt sich! Wir stehen allen Kommunen in Baden-Württemberg für Fragen zu diesem Thema zur Verfügung. In den anderen Bundesländern gibt es ebenfalls Landesenergieagenturen, an die sich interessierte Kommunen wenden können.

Weitere Informationen

Weiteres Wissen zur Wärmenetzen und der Arbeit der KEA-BW erhalten Sie auf der Webseite der Landesenergieagentur.

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