Durch eine gezielte Abwärmenutzung könnten allein in Baden-Württemberg theoretisch bis zu 9 Terawattstunden an Energie jährlich eingespart werden. Doch viele Unternehmen zögern trotz hoher Energiekosten noch immer die Abwärmepotentiale im eigenen Betrieb zu heben. Wir sprechen mit Martin Pfränger, Projektleiter des Kompetenzzentrums Abwärme bei Umwelttechnik BW, der Landesagentur für Umwelttechnik und Ressourceneffizienz in Baden-Württemberg, über die Bedeutung, die Vorteile, das richtige Vorgehen und attraktive Fördermöglichkeiten für Unternehmen bei der Abwärmenutzung.

Martin Pfränger, Projektleiter des Kompetenzzentrums Abwärme bei Umwelttechnik BW, der Landesagentur für Umwelttechnik und Ressourceneffizienz.

Herr Pfränger, warum ist das Thema Abwärmenutzung so bedeutsam und wie unterstützt hierbei das Kompetenzzentrum Abwärme Unternehmen in Baden-Württemberg?

Eines ist sicher: Ohne eine konsequente und forcierte Abwärmenutzung wird Deutschland seine Klimaschutzziele nicht erreichen. Sowohl im Klimaschutzgesetz des Landes Baden-Württemberg als auch im Koalitionsvertrag des Landes nimmt das Thema Abwärme darum einen wichtigen Platz ein. Das konkrete Ziel ist es, in unserem Bundesland mindestens rund 250 Gigawattstunden im Jahr an Abwärme kontinuierlich umzusetzen. Die theoretischen Potenziale liegen dabei zwischen 9 % und 15 % des Anteils des Endenergieverbrauchs der produzierenden Industrie. Das sind ungefähr zwischen 5,4 und 9,3 Terawattstunden im Jahr, die theoretisch rückgewinnbar wären. Eine große Chance, aber auch eine große Herausforderung. Aus diesem Grund wurde das Kompetenzzentrum Abwärme gegründet. Angesiedelt bei der Landesagentur für Umwelttechnik und Ressourceneffizienz fungieren wir als zentraler Ansprechpartner für die produzierenden Unternehmen in unserem Bundesland. Unsere Aufgabe ist es, die Firmen für das Thema Abwärmenutzung zu sensibilisieren, zu informieren sowie Projekte erfolgreich zu initiieren und zu unterstützen.

Welche konkreten Vorteile bietet die Abwärmenutzung den Unternehmen?

Darauf gibt es in diesen Zeiten eine einfache Antwort. Dank der Nutzung ihrer Abwärme können Unternehmen ihren CO2-Footprint natürlich reduzieren, ihre Energiekosten massiv senken und ihre Energieeffizienz erhöhen. Bei früheren Preisen von 0,03 bis 0,04 Eurocent für Erdgas hatte sich die Industrie bisher nicht wirklich für das Thema interessiert. Es war wirtschaftlich einfach nicht interessant genug. Doch nach den aktuellen Preissteigerungen ist das Interesse natürlich groß – denn wieso sollte ich meine Energie zum Dach rausblasen, wenn ich sie clever gewinnbringend (zweit)nutzen kann.

Wie kann ich als Unternehmen denn in Erfahrung bringen, ob die eigene Abwärme überhaupt sinnvoll nutzbar ist? Und welche Schritte sollte ich hierfür als Erstes einleiten?

Das Wichtigste ist natürlich, dass ich mich als Unternehmen schon einmal mit dem Thema Abwärme beschäftige. Wobei grundsätzlich gilt, dass die kommunale Wärmeplanung ja in Baden-Württemberg per Gesetz verankert ist. Darum kommen dort Kommunen meist auf die ansässigen Unternehmen zu und fragen an, welche Abwärme mit welcher Temperatur mit welchem zeitlichen Ansatz vorhanden ist. Aber natürlich freuen wir uns, wenn Unternehmen auch direkt die Initiative ergreifen. In dem Fall können diese in Baden-Württemberg sehr gerne direkt auf uns zukommen. Als ersten Schritt empfehlen wir Unternehmen dann den kostenlosen KEFF+Check (zum KEFF+Check), mit dem die wichtigsten Daten im Betrieb schon einmal erfasst werden können.

Allerdings reicht es nicht aus, wenn ich nur die technischen Kennzahlen weiß, zum Beispiel wieviel Grad mein Abgas-Volumenstrom hat. Ich muss mir als Unternehmen auch die Frage stellen, wie ich diesen auskoppeln und im gesamten Prozess oder anderswo im Unternehmen ein zweites Mal verwenden könnte.

Wer dazu bereits eine erste Einschätzung der Wirtschaftlichkeit erhalten möchte, der kann anhand eines praktischen Abwärmerechner-Tools unserer bayerischen Kollegen seine Potentiale vorab grob analysieren (Link zu Tool). Wir wiederum bieten Firmen in Baden-Württemberg zum Start einen konkret auf das Unternehmen gerichteten initialen und kostenfreien Abwärme-Check an. Die hierfür benötigten Eckdaten können uns zum Beispiel Umweltbeauftragte oder technische Betriebsleiter*innen des Unternehmens liefern. Bei kleineren Betrieben, die oft nicht über die nötige Expertise und Kapazitäten verfügen, schauen wir aber auch gerne persönlich vor Ort vorbei. Mit Hilfe eines solchen ersten Abwärme-Checks können wir dann gut beurteilen, ob interessante Potenziale vorhanden sind und ob sich diese gut nutzen lassen können. 

Was passiert, wenn dieser erste Initialcheck vielversprechend ausfällt?

Im nächsten Schritt muss man rechnerisch deutlich mehr in die Tiefe gehen. Diese Art der Beratung dürfen wir als Landesagentur aber nicht übernehmen, dies wäre dann Aufgabe eines Ingenieurbüros oder Energieeffizienzberaters. Eine Liste mit entsprechenden Empfehlungen geeigneter Berater*innen stellen wir gerne zur Verfügung. Diese können mit ihrer Arbeit dann auf dem bereits durchgeführten Initial-Check aufsetzen. Hierbei möchte ich noch darauf hinweisen, dass das Land Baden-Württemberg im Rahmen von Klimaschutz-Plus eine gut gestufte Förderung für eine solche Erstberatung Abwärmenutzung anbietet. Diese gibt 75 % auf das Beratungshonorar – bei maximal 30 Personentagen sind dies immerhin bis zu 18.000 Euro. (Link zum Förderprogramm).

Was in dieser Erstberatung enthalten sein muss, ist die Erstellung eines ersten Abwärmekonzepts. Somit die Erhebung und Bewertung der Abwärmepotenziale und organisatorischer, methodischer und technischer Möglichkeiten zur internen oder auch externen Nutzung dieser Abwärme, ggf. auch zur Verstromung oder Auskopplung mittels bestehender oder neu zu errichtender Wärmenetze. Dies wird für einen Endbericht benötigt, der für alle möglichen Varianten einen Kosten-Nutzen Vergleich berechnet. Dabei ist es wichtig, sich noch einmal die Grundphilosophie hinter all dem zu vergegenwärtigen. Als Erstes sollte ein Unternehmen stets Abwärme vermeiden oder vermindern. Ist dies nicht möglich – oder schon durchgeführt – sollte Abwärme erst einmal für den eigenen Betrieb verwendet werden. Erst falls dies nicht oder nur zu Teilen erfolgen kann, sollte man eine externe Nutzung in Erwägung ziehen. Der Endbericht gibt Unternehmen dann auch eine klare Handlungsempfehlung mit. Auf dieser Basis kann dann entschieden werden, in welcher Form das Projekt weiterverfolgt wird.

Für die Erstellung von ersten Abwärmekonzepten stehen in Baden-Württemberg attraktive Fördergelder zur Verfügung. Diese können die jeweiligen Berater*innen für die zu beratenden Unternehmen bei der L-Bank anfordern. Auch in anderen Bundesländern gibt es ähnliche Förderprogramme, leider aber nicht in der gleichen Förderhöhe.

Der Endbericht ist vielversprechend, wie geht es nun für das Unternehmen weiter?

Auch für die zweite Stufe, die weiterführende Projektanbahnung des Abwärmeprojektes gibt es in Baden-Württemberg übrigens weitere attraktive Fördergelder mit ebenfalls 75 % Förderquote, bei maximal hundert Personentagen sind dies bis zu 60.000 Euro Zuschuss, ebenfalls bei der L-Bank anzufordern.

Hier kann bereits eine Art erster Vorprojektierung mit integriert werden, ähnlich der Inhalte der Leistungsphase 3-4 nach HOAI. Hier wäre zum Beispiel bei einer Auskopplung von Abwärme die Erstellung einer Machbarkeitsstudie vorstellbar. Nicht ganz so attraktiv, dafür aber überall in Deutschland verfügbar, sind natürlich die klassischen Förderprogramme der BAFA-Module eins, zwei und vier. Diese fördern allerdings keine Beratung, sondern nur Investitionen mit rund 30 % bis 55 %. (Link zur BAFA, EEW, Modul 4)

Zu welchem Zeitpunkt sollte das Unternehmen eigentlich mit der Kommune Kontakt aufnehmen?

Bevor man sich an die Kommune oder ein Stadtwerk mit der Idee der Abwärmenutzung wendet, sollte mit Hilfe des Abwärmeberaters erst einmal abgeklärt sein, ob die Abwärme nicht auch komplett intern verwertet werden kann. Interessant wird es wie gesagt erst, wenn das Unternehmen danach noch Abwärme übrighat – vor allem, wenn der Betrieb in einem Industriegebiet angesiedelt ist, in dem andere Firmen von einer Auskopplung profitieren könnten. Ein gutes Beispiel dafür wäre ein Galvanik-Hersteller oder ein Galvanik-Betrieb direkt neben einer Groß-Bäckerei. In so einem Fall könnte die Wärme relativ einfach mit Hilfe einer Leitung über die Grundstücksgrenze geschickt und theoretisch noch weitere Betriebe in dem Industrieareal mit angeschlossen werden.

Allerdings möchten Unternehmen oft nur ungern die Rolle eines Energielieferanten mit all den damit verbunden Pflichten (Wärmelieferung, Wärmeliefervertrag, Grunddienstbarkeiten, etc.) übernehmen. Genau an dieser Stelle ist es jetzt wichtig, die Kommune, die Stadtwerke und mögliche weitere betroffene Parteien an einen Runden Tisch zu bringen. Nur so kann man gemeinsam eine sinnvolle Lösung erarbeiten, denn die vom Unternehmen teuer eingekaufte Energie nun einfach über das Dach wieder wegzuschmeißen, wäre natürlich wirtschaftlich unsinnig. Bei der Organisation dieses Runden Tisches unterstützen wir vom Kompetenzzentrum Abwärme die Unternehmen gerne. Auch in Zusammenarbeit mit den Kollegen des Kompetenzzentrums Wärmewende unserer Schwesteragentur, der KEA-BW, die hier die Kommunen unterstützt.

Welche Vorbehalte hören Sie von Unternehmen zum Thema Abwärmenutzung und wie können Sie diese entkräften?

Viele Unternehmen haben die Sorge, dass sie jemanden in ihren Betrieb hineinlassen müssen, der dann auf die internen Prozesse Einfluss nimmt. Diese Angst ist aber unbegründet. Auch die Sorge, sich angesichts einer unsicheren Wirtschaftslage über mehrere Jahre verpflichten zu müssen, schreckt manche Firmen ab. All dies lässt sich aber vertraglich regeln – ohne dass ein Unternehmen ins Risiko gehen muss.

So kann ein Stadtwerk zum Beispiel anbieten ein BHKW zu installieren, das dann als Redundanz fungiert. Wichtig ist aber auf jeden Fall, dass man ganz klar die Besitzverhältnisse klärt. Denn wenn ich zum Beispiel als Stadtwerk in eine Abwärme-Auskopplung investiere, dann baue ich diese ja letztlich bei dem Unternehmen ein. Hier muss eine saubere Trennung erfolgen – nicht nur bezüglich wem die Anlage gehört, sondern auch wie zum Beispiel das Betretungsrecht aussieht. All das wird aber in den von den Kollegen der KEA-BW bereitgestellten Musterlieferverträgen bereits berücksichtigt.

Können Sie uns ein paar besonders spannende aktuelle Projekte nennen?

Da gibt es einige. Nehmen wir eine Gießerei im Nordbadischen, die Unmengen an Abwärme zur Verfügung hatte. Hier haben wir erfolgreich Teile der Abwärme in eine Fußbodenindustrieheizung zur Formentrocknung ausgekoppelt. Oder ein Lackierbetrieb, der seine Abwärme nun dank einer Hochtemperaturwärmepumpe dazu nutzt, um Lösemittel aus der Abluft heraus zu kondensieren, anstatt sie thermisch nachzuverbrennen. Aktuell gibt es neben einem spannenden Projekt mit einem Molkereibetrieb und zahlreiche Großbäckereien noch viele weitere interessante Beispiele, die Sie zum Teil auch auf unserer Webseite finden (Link Fallbeispiele) und die als Inspirationsquelle dienen können.

Ich möchte an dieser Stelle aber auch noch ein besonderes Projekt nahe der bayerischen Grenze hervorheben. Hier hat sich ein Rechenzentrumsbetreiber dazu entschieden, mit seiner Abwärme über ein Wärmenetz den kompletten Ort mit knapp 1.000 Einwohnern zu versorgen. Der junge Unternehmer hat es geschafft, die Bewohner und auch die Gemeindevertreter des Ortes für sein Projekt zu begeistern und ist nun dabei, zusammen mit der Kommune und einem Energiedienstleister, dank Fördergeldern dieses Wärmenetz aufzubauen. Gerade Rechenzentren bieten hier besonders vielversprechende Potenziale, darum haben wir im Kompetenzzentrum eine eigene Stelle für diesen ganz speziellen Bereich geschaffen.

Welche Tipps möchten Sie Unternehmerinnen und Unternehmern am Schluss noch mit auf den Weg geben?

Der erste Schritt in jedem Unternehmen sollte erst einmal sein: Wie kann ich meine vermeintlichen Abwärmepotenziale vermindern? Kann ich zum Beispiel die Anlage dämmen, einhausen oder auf einen Batch-Prozess umstellen, damit ich unnötige kontinuierliche Abwärme vermeide? Erst wenn ich hier bestmöglich optimiert habe, sollte ich mir über die Abwärmenutzung wirklich Gedanken machen. Und dann ist der einfachste Weg, sich professionelle Beratung zu holen. Unternehmen in Baden-Württemberg nehmen am besten einfach direkt Kontakt zu uns auf. Das kostet nichts und gemeinsam können wir schon einmal abklären, ob die Potentiale vielversprechend genug sind, um die Sache weiterzuverfolgen. Neben Baden-Württemberg verfügen aber zum Beispiel auch die Landesenergieagenturen von Sachsen und Thüringen über Expertise im Bereich Abwärme.

Unternehmen aus allen anderen Bundesländern können sich aber auch für Unterstützung an das Kompetenzzentrum der Kommunalen Wärmewende in Halle wenden. Und auf jeden Fall ist es natürlich auch empfehlenswert, sich von einem im Bereich Prozesswärme/Abwärme erfahrenen Ingenieurbüro unterstützen zu lassen.

Und noch zwei letzte Tipps: Das Kompetenzzentrum Abwärme bietet auch eine dreiteilige Schulungsreihe zu dem Thema an (Link zur Schulungsreihe). Hier werden die Grundlagen der Abwärmenutzung, die Förderung und einige Best-Practice-Beispiele behandelt. Am 26. September 2023 findet dazu noch die große Fachtagung Abwärme BW in Stuttgart statt.

Webseminar mit Martin Pfränger

Weitere spannende Einblicke zu diesem Thema erhalten Sie am 4. Mai 2023 von Martin Pfränger in unserem kostenfreien Webseminar „Der schlafende Riese – Wie Unternehmen ihr Abwärmepotential erkennen und für eine klimaneutrale Wärmeversorgung nutzen können„. Hier jetzt für das Webseminar registrieren!

Weitere Informationen

Weiteres Wissen zum Thema Abwärmenutzung für Unternehmen erhalten Sie auf der Webseite des Kompetenzzentrums Abwärme.

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